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Warum Trump's Twitter-Sperre ein Weckruf gegen das aktuelle Social-Media Regime sein sollte

Ein blauer Vogel, der auf einem Stück Holz sitzt
Elaine R. Wilson (CC BY-SA 2.5)

Warum Trump's Twitter-Sperre ein Weckruf gegen das aktuelle Social-Media Regime sein sollte

Armin Bund, 8.3.2021


Dieser Artikel wurde schon Anfang Februar verfasst, ist also nicht mehr ganz aktuell. Trotzdem habe ich mich jetzt entschieden ihn hier zu veröffentlichen, da er ganz gut zur Thematik des politischen Café von letztem Sonntag (7.3.2021) passt.

 

Außerdem will ich feststellen, dass ich Donald Trump, seine Politik und seine Anhänger*innen in keiner Form verteidige. Der Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Jänner ist nur ein Beispiel von vielen, in denen Trump unverantwortlich und proto-faschistisch agiert hat. Dennoch glaube ich, dass die Twitter-Sperre auf ein viel größeres Problem hindeutet.


Ihr wisst doch garnicht was freie Meinungsäußerung heißt

Wahrscheinlich hat mittlerweile fast jede*r das Argument, dass Social Media Plattformen nichts mit der Meinungsfreiheit zu tun haben, gehört. Für gewöhnlich läuft die Diskussion ungefähr wie folgt ab:

  1. Post von Rassist*in wird gelöscht
  2. Rassist*innen versammeln sich in den Kommentaren und beklagen den Zustand des Rechts auf freie Meinungsäußerung
  3. Leute die diese Meinungen (zu Recht) abstoßend finden mokieren sich darüber, dass Rassist*innen nicht wissen würden, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung ein Recht gegenüber dem Staat ist und nicht gegenüber privaten Firmen.

Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht ab und an das selbe Argument verwendet und mich dabei insgeheim sehr überlegen gefühlt habe. Aber irgendwie ist mir das immer quer im Magen gelegen. Klar, wenn ich mich auf solchen Websites bewege, muss ich mich an die Gemeinschaftsrichtlinien halten. Ich habe einen Vertrag abgeschlossen, an den ich mich halten muss. Aber ist das eine zufriedenstellende Lösung? Oder ist das Gefühl, aus dem heraus diese Leute sprechen, nicht doch im Kern gerechtfertigt?

 

Consent vs. Monopol

An der Oberfläche kann das „Private Firmen“-Argument auf einen uralten Rechtsgrundsatz zurückgeführt werden: „Pacta sunt servanda“, Verträge sind einzuhalten. Wenn ich als mich als User*in auf Social Media bewegen will, muss ich mich an die Regeln der Eigentümer halten. Aber wir wissen, dass Verträge nicht immer von gleichen Partner*innen abgeschlossen werden. Streiks zum Beispiel sind zwar Vertragsbrüche, aber fast alle würden, wenn die Arbeitsbedingungen schlimm genug sind, zustimmen, dass sie gerechtfertigt sein können. Der Grund dafür liegt eben darin, dass wir Verträge nicht immer frei aushandeln können.

 

Das moderne Phänomen der AGB ist wahrscheinlich das offensichtlichste Beispiel für so eine Situation. Das Unterzeichnen von AGBs, "Gemeinschaftsrichtlinien" und neuerlich Cookie-Einverständnissen ist zu einer Automatik degradiert, die viele wahrscheinlich gar nicht mehr wahrnehmen. Ein Klick, und wir haben wieder mal zu einem 100-Seiten Vertrag ein OK gegeben. Niemand würde auf die Idee kommen die AGB von Facebook zur Gänze durchzulesen und dann einen Brief mit Verbesserungswünschen an Mark Zuckerberg zu schicken.

 

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Wir haben keine andere Option. Wenn wir nicht auf OK klicken, dann gibt es für uns eben kein Twitter/Facebook/Instagram. Das mag vor 15 Jahren noch keine große Sache gewesen sein. Heute heißt das, dass wir Demos und Veranstaltungen verpassen werden. Dass Leute uns ein bisschen schief anschauen, wenn wir erklären, warum wir sie nicht auf Instagram adden können. Dass niemand unsere Kunst/Texte/Lieder finden kann. Dass Social Media Plattformen ein Oligopol bilden ist nichts Neues, aber es entzieht der Vorstellung, dass wir kein Recht haben uns zu beschweren, weil wir ja einen freiwilligen Vertrag eingegangen sind, jede Basis.

 

Social Media ist ein Kampfplatz

Die Frage nach der Zensur bringt aber auch einen anderen Aspekt mit sich. Wenn wir Firmen wie Twitter die Macht geben gewisse Diskurse auszuschließen können wir nicht einfach davon ausgehen, dass sie diese Macht immer nur mit verantwortungsvoller Zurückhaltung ausüben werden. Ich hab mich selbst auch hämisch gefreut, wenn Leute wie Alex Jones ihre Plattform verloren haben. Aber dieses Pendel schwingt früher oder später auch in die andere Richtung. Im August 2020 wurden „Crimethinc“ und „It's going down“, beides bekannte anarchistische Websites, gemeinsam mit einigen anderen anarchistischen und antifaschistischen Seiten von Facebook und Instagram gesperrt. Ziel der Aktion waren QAnon-Supporter*innen, aber um ein Bild von Neutralität abzugeben mussten Anarchist*innen als Bauernopfer herhalten.

 

Aber selbst wer sich wenig um Anarchist*innen und Antifaschist*innen kümmert, muss zugeben, dass die Gemeinschaftsrichtlinien selten wirklich transparent umgesetzt werden. Wer schon hin und wieder einen Post gemeldet hat, weiß, dass selbst die offensichtlichsten Verstöße häufig nicht geahndet werden. In globaler Perspektive zeigt sich, dass besonders Facebook eine wichtige Rolle in Grausamkeiten wie dem „War on Drugs“ in den Phillipinen und dem Genozid gegen die Rohingya in Myanmar gespielt hat. Die Vorstellung, dass Social Media Plattformen ihre Richtlinien neutral auf alle Fälle anwenden ist also kaum zu halten.

 

Natürlich hätten diese Webseiten auch gar nicht die Ressourcen um alle Gruppen, Seiten etc. zu kontrollieren. Gerade deswegen konzentrieren sie sich stattdessen darauf öffentlichkeitswirksame Exempel zu statuieren. In Myanmar wurde ein mächtiger General von Facebook gesperrt, auf den Phillipinen wurden einige Accounts, die dem Duterte-Regime zugerechnet werden, gesperrt und vor kurzem eben Donald Trump. Im ersten Moment ist es natürlich gut, wenn gefährlichen Personen die Kommunikationskanäle weggenommen werden. Aber diese Entscheidungen dürfen nicht als moralische Urteile oder Anwendung von gleichen Richtlinien für alle gewertet werden. Stattdessen sind es schlussendlich kalkulierte Entscheidungen einer kleinen Elite, um ihre Markt- und Machtposition zu schützen. Wer glaubt, dass es reiner Zufall ist, dass Trump im selben Moment, in dem feststand, dass die Demokraten Präsidenten, House und Senat kontrollieren von allen großen Plattformen geworfen wurde, ist naiv.

 

Keine Zensur ist auch keine Lösung / Wohin jetzt?

Paradoxerweise ist der Grund, wieso Social Media unfähig ist gefährliche Bewegungen einzugrenzen, derselbe Grund wieso Zensur durch diese Plattformen gefährlich ist. Denn de facto läuft fast jeder öffentliche Diskurs heute über privat und profitorientiert geführte Infrastruktur ab, in der Judikative, Legislative und Exekutive in den Händen einer kleinen und nebulösen Elite liegen.

 

Die Antwort darauf muss ein gemeinschaftliches Internet sein, in dem die Regeln von den Communities selbst bestimmt und umgesetzt werden und das denen gehört, die es benutzen. Wenn unsere Aufmerksamkeit nicht mehr mithilfe abstruser Verschwörungstheorien an Werbetreibende verkauft werden muss, wird auch nicht mehr aus Genoziden profitiert werden. Und erst wenn Demagogen nicht mehr in die leere Weite des Internets brüllen, sondern mit echten, selbstbewussten Communities konfrontiert sind, werden wir anfangen können uns im Internet gemeinsam gegen Menschenfeindlichkeit jeder Art zu verteidigen.

 

Anreize dazu lassen sich bei föderal organisierten Projekten wie Mastodon oder Diaspora finden, die versuchen Alternativen auf eben dieser gemeinschaftlichen Idee aufzubauen. Ein Internet, in dem wir wieder das Sagen haben, ist möglich, wenn wir uns dafür einsetzen.